Professor zum Geldmonopol

Das Aufschieben der Krise

Von Thorsten Polleit am 17. Dezember 2008

Die so genannte „internationale Kreditkrise“ scheint eine „internationale Überschuldungskrise“ zu sein. Denn es scheint so zu sein, dass (Dauer-)Kreditgeber angesichts der gewaltigen Kreditpyramide, die im Zuge des staatlich kontrollierten Papiergeldstandards errichtet wurde, die wachsende Sorge haben, dass Schuldner ihre Verbindlichkeiten nicht mehr bedienen können: Sie wollen fällige Kredite nicht mehr, oder wenn, dann nur zu deutlich höheren Zinsen erneuern. Und gleichzeitig scheinen (Dauer-)Schuldner nicht in der Lage zu sein, fällig werdende Kredite zurückzahlen oder höhere Zinsen auf ihre Schulden bezahlen zu können.

Es liegt folglich nahe, die aktuelle Problematik vor dem Hintergrund der herrschenden Kredit- und Geldordnung zu analysieren – und darauf aufbauend eine Bewertung der bisherigen „Rettungsmaßnahmen“ der Regierungen und ihrer Zentralbanken vorzunehmen.

 

Krisenanfälligkeit des staatlichen Geldes

Im staatlich kontrollierten Papiergeldstandard kann die Zentralbank das Kredit- und Geldangebot beliebig ausweiten und den „Marktzins“ unter den „natürlichen Zins“ drücken. Auf diese Weise werden zunächst knappe Ressourcen in neue Investitionsprojekte gelenkt, während das Sparen aufgrund des verminderten Zinses abnimmt und der Konsum ansteigt. Das zusätzliche, „aus dem Nichts“ geschöpfte Geld führt zu einem Marktungleichgewicht: Es erhöht die monetäre Nachfrage über das Ressourcenangebot der Volkswirtschaft hinaus.

Früher oder später schwindet die „Illusion des Überflusses“, die durch das neu geschöpfte Geld entstanden ist. Die Marktakteure versuchen, zur ursprünglich gewünschten Spar-Investitions-Relation zurückzukehren. Dabei zeigt sich, dass die Ressourcen der Volkswirtschaft nicht ausreichen, um alle begonnenen Ausgabenpläne zu realisieren. Die Preise von Inputgütern steigen, und bisher attraktiv erscheinende Investitionen erweisen sich als unprofitabel. Ohne ein weiteres Absenken des Zinses durch das Ausweiten der Kredit- und Geldmenge fällt die konjunkturelle „Scheinblüte“ in sich zusammen.

Die Furcht vor einer sich eintrübenden Konjunktur führt zu öffentlichen Rufen nach einem „Bekämpfen“ des Abschwungs, vor allem mit einem Absenken des Marktzinses unter den natürlichen Zins – durch ein weiteres Ausweiten des Kredit- und Geldangebots. Die Zentralbanken beugen sich früher oder später der öffentlichen Mehrheitsmeinung, senken die Zinsen, und der neue Geldstrom führt die Wirtschaft aus dem Tal. Doch auch der neue Aufschwung ist nur von kurzer Dauer. Auch sie endet früher oder später im Abschwung.

Die Wiederkehr der „Boom-and-Bust“-Zyklen geht mit einer immer weiter anschwellenden Verschuldung der Volkswirtschaften einher. Denn das Zinssenken der Zentralbank lässt Investitionen, die bei einem freien Marktzins unrentabel sind, wieder profitabel werden. Auf diese Weise werden Fehlallokationen nicht bereinigt, Kredite von „Flop-Investitionen“ werden nicht zurückgezahlt. Die künstlich gesenkten Zinsen ermuntern zudem noch weitere kreditfinanzierte Investitionen, und die Abhängigkeit der Volkswirtschaft von immer mehr Kredit und Geld zu immer niedrigeren Zinsen wird weiter erhöht.

Die Geldpolitik des fortgesetzten Zinssenkens kann im Zeitablauf zu einem Ausweiten des Kredit- und Geldmengenangebots relativ zum Einkommen führen. Die Verschuldungslasten der Volkswirtschaften steigen immer weiter an. Im Extremfall kann eine Überschuldungssituation entstehen – also eine Situation, wie sie sich bereits abzeichnet in Form der anschwellenden Verluste in den Kreditportfolios der Banken. Diese Verluste sollen nun genauer betrachtet werden.

Buchwertverlust versus Zahlungsausfall

Verluste vermindern das Eigenkapital. Dies gilt für jedes Unternehmen, auch für Banken. Verluste schmälern die Fähigkeit und/oder Bereitschaft der Banken, fällig werdende Kredite zu verlängern oder neue Kredite zu vergeben. An dieser Stelle ist zwischen Buchverlusten und Verlusten durch Zahlungsausfälle zu unterscheiden.

Angenommen eine Bank kauft ein festverzinsliches Wertpapier zum Preis von €100 und bilanziert es zum Anschaffungswert. Fällt der Marktpreis nachfolgend auf €50 (weil beispielsweise der Marktzins steigt), so muss das Wertpapier (in der Regel) auf den Marktpreis abgeschrieben werden. Es entsteht ein Buchverlust in Höhe von €50, und in gleicher Höhe vermindert sich das Eigenkapital.

Wird das Wertpapier bis zur Endfälligkeit gehalten, und leistet der Schuldner weiterhin fristgerecht seine Zins- und Tilgungszahlungen, so erleidet die Bank letztlich keinen Verlust: Sie erhält letztlich alle Zahlungen, mit denen sie beim Kauf des Wertpapiers ursprünglich gerechnet hat. Der Verlust wäre ein reiner Bewertungsverlust.

Wenn jedoch der Verlust entsteht, weil der Schuldner nicht oder nicht in vollem Umfang zahlt, und sinkt darauf der Marktpreis des Wertpapiers, so wäre auch hier eine Abschreibung vorzunehmen, die das bilanzierte Eigenkapital der Bank schmälert. Allerdings hätte die Bank nun einen echten Zahlungsausfall zu verkraften. Selbst beim Halten des Wertpapiers bis zur Endfälligkeit würden die Zahlungen geringer ausfallen, als sie beim Kauf des Wertpapiers erwartet wurden.

Und dies ist folgenreich, weil Banken den Kauf des Wertpapiers nicht nur mit Eigenkapital, sondern auch mit Fremdmitteln refinanzieren: Sie haben sich Einlagen und Kredite beschafft, auf die sie ihre Kunden und Investoren Zinsen und Rückzahlungen zu leisten hat. Der Marktpreisverfall des Wertpapiers aufgrund von Zahlungsausfällen des Schuldners könnte also die Bank in Pleite führen.

Für Außenstehende ist nicht (leicht) erkennbar, ob ausgewiesene Verluste der Banken „lediglich“ Buchverluste oder „echte“ (zu erwartende) Zahlungsausfälle darstellen. Schon die Sorge der Einleger und Halter von Bankschuldverschreibungen, dass eine Bank ihren Zahlungen nicht nachkommen könnte, kann eine Panik auslösen („Bank-Run“): Einleger versuchen, ihre Einlagen abzuziehen, und Investoren versuchen, Schuldverschreibungen der betroffenen Bank zu verkaufen. Beides erhöht die Refinanzierungskosten der betroffenen Bank oder. Im Extremfall kann das zur Zahlungsunfähigkeit führen.

Dauerschuldner unter Druck

Wenn eine Bank nicht fristenkongruent refinanziert sind (d. h. wenn die Laufzeit der Kredite länger ist als die Laufzeit der Verbindlichkeiten), kann sie im Zuge schwindenden Einleger- und Investorenvertrauens besonders leicht zahlungsunfähig werden. Angesichts einer zahlungsunfähigen Bank kann die Furcht schnell überspringen auf andere Banken. Es kann zu einer Kettenreaktion kommen, in deren Folge der Bankensektor insgesamt zahlungsunfähig gegenüber Einlegern und Investoren werden kann.

Allerdings sind auch bei einer fristenkongruenten Refinanzierung der Banken Bankenpleiten auf breiter Front nicht per se ausgeschlossen. Denn haben die Marktakteure sich erst einmal darauf verlassen, dass das System der Dauerschulden funktioniert – also dass fällig werdende Kredite stets problemlos (und möglicherweise zu immer niedrigeren Zinsen) erneuert werden können –, so kann eine böse Überraschung drohen: nämlich dann, wenn die Kreditkunden der Banken sich außer Stande sehen, ihre Kredite zurückzuzahlen oder sie zu höheren Kreditzinsen zu refinanzieren. Dies wiederum kann die Einleger und Kreditgeber der Banken veranlassen, fällig werdende Einlagen und Schuldverschreibungen nicht, oder nur zu (erheblich höheren) Zinsen zu erneuern. Banken und ihren Kreditkunden droht die Pleite.

Von Inflation zur Deflation

Wenn im Papiergeldstandard Bankkredite zurückgezahlt werden (müssen), nimmt die Geldmenge ab. Gleiches gilt, wenn Banken Pleite gehen und Einleger ihre Sichteinlagen – die ja Teil der bilanzierten Verbindlichkeiten der Banken sind – verlieren. Die Phase der Inflation – Folge fortwährender Bankenkredit- und –geldmengenexpansion – würde sich in eine Deflation umkehren. Das Weltfinanzsystem scheint sich derzeit in der Tat an der Schwelle zur Deflation zu bewegen.

Die Eigentümer der Geschäftsbanken haben erkannt, dass zuviel Kredit vergeben und dabei zu große Kreditrisiken eingegangen wurden. Sie wollen nun ihre Bilanzen „gesund schrumpfen“. Nicht alle fällig werdenden Kredite werden verlängert, und auch nicht jeder Neuschuldner erhält (wie bisher) Kredit. Eine (schwere) Anpassungsrezession, in der Produktion und Beschäftigung und Preise auf breiter Front („Deflation“) sinken, wäre die Folge, mit all ihren politischen und sozialen Konsequenzen.

Eine Deflation würde vor allem die schuldenfinanzierten Wohlfahrtsstaaten vor weit reichende Anpassungen stellen. Nicht nur die Steuereinnahmen sinken und verkleinern den Umverteilungsspielraum der Regierungen, der zum Stimmengewinnung in der Demokratie unverzichtbar geworden ist. Vor allem aber die realen Schuldenlasten steigen, und das Schrumpfen der in den Kapitalmärkten verfügbaren Kredit- und Geldmengenvolumina erschwert die Refinanzierung fällig werdender Staatskredite oder macht sie gar unmöglich.

Angesichts der wirtschaftlichen und politischen Korrekturen im Zuge der Deflation dürfte der Anreiz der Regierungspolitiker groß sein, das bestehende Kredit- und Geldsystem in Gang zu halten, zumindest aber alles zu unternehmen, dass die absehbare Korrektur so gut es geht abgemildert wird – und dieser Anreiz wird um so größer sein, wenn die dafür anfallenden Kosten nicht sofort, sondern erst später sichtbar werden.

Sollte es also das betriebswirtschaftliche Kalkül der Bankeigentümer sein, das Bankenkredit- und –geldmengenangebot zu reduzieren, müssten sich die Regierungen schon dafür entscheiden, private Eigenkapitalgeber aus dem Kredit- und Geldmengenangebotsprozess herauszudrängen. Das Kredit- und Geldangebot müsste dann von staatlichen Kreditinstituten oder aber dem staatlichen Dirigismus unterstehenden Geschäftsbanken (gezielt) bereitgestellt werden.

Fortgesetzter Interventionismus

Um der Kreditkrise zu begegnen, sind aktuell sind vier Formen des staatlichen Interventionismus zu beobachten: (1) Die Zentralbanken senken die Zinsen (noch weiter), (2) die Regierungen subventionieren die Geschäftsbanken mit Steuergeldern, (3) die Zentralbanken nehmen Banken Risikoaktiva ab, um ihnen Verluste zu ersparen und (4) die staatliche Regulierung soll verschärft werden. Die Konsequenzen dieser Maßnahmen sollen nachfolgend kurz betrachtet werden.

Ad (1): Zinssenkungen der Zentralbanken

Senken die Zentralbanken die Leitzinsen, so sollen dadurch die Refinanzierungskosten des Bankenkreditgeschäfts verbilligt und die Attraktivität der (Neu-)Kreditvergabe an Unternehmern, Konsumenten und Regierungen erhöht werden. Nicht zuletzt sollen niedrigere Marktzinsen sich positiv auf die (Bar-)Werte von Finanztiteln auswirken und Abschreibungsverlusten der Banken entgegenwirken.

Der Blick auf die jüngsten Marktbewegungen zeigt jedoch, dass die Zinssenkungen der Zentralbanken vor allem die längerfristigen Refinanzierungszinsen der Geschäftsbanken nicht reduzieren. Die Zentralbanken müssten vermutlich schon die langfristige Refinanzierung der Geschäftsbanken in weiten Teilen übernehmen (im Zuge von z. B. langfristiger Kreditvergabe), um die fristenkongruente Refinanzierung des Bankenapparates wieder in Gang zu bringen.

Die Zentralbanken müssten folglich eine weit reichende Zinsführerschaft in den Kapitalmärkten übernehmen, die sich nicht nur auf kurze (d. h. bis zu einem Jahr), sondern auch auf lange Laufzeiten (d. h. bis zu zehn Jahren) erstreckt. Eine solche Strategie würde jedoch quasi auf eine „Vollverstaatlichung“ der Zinsmärkte hinauslaufen, die die verbliebenen Elemente für eine freie Marktzinsbildung vermutlich vollends aufheben würde.

Ad (2): Bankensubventionierung mit Steuergeldern

Die „Rettungspakete“ der Regierungen haben das Ziel, Einleger und Halter von Bankschuldverschreibungen vor Verlusten zu schützen, die entstehen können, wenn Banken zahlungsunfähig werden. Die Regierungen stellen also in Aussicht, die (laufende und/oder künftige Generation der) Steuerzahler für die Verluste der Banken zur Kasse zu bitten. Mit dieser Ankündigung soll verloren gegangenes Vertrauen wiederhergestellt und die sonst befürchteten Konsequenzen – insbesondere der Zusammenbruch von Banken infolge einer Refinanzierungs- und Zahlungsunfähigkeit – abgewendet werden.

Im Ernstfall wären die Steuerzahler jedoch vermutlich kaum in der Lage, den ihn ihrem Namen ausgesprochenen Garantien nachzukommen. Allein in Deutschland beträgt die Bilanzsumme aller Banken 7744,7 Mrd. Euro, also etwa 320% des Bruttoinlandsprodukts. Schon die Notwendigkeit, nur etwa 6% der Bilanzsumme aufzufangen, dürfte vermutlich massive Verwerfungen auf den Rentenmärkten nach sich ziehen, die private Kreditnehmer in arge Bedrängnis bringen dürfte. Ähnliches gilt für den Euroraum insgesamt: Hier beträgt das konsolidierte Bilanzsumme aller Banken mehr als 31500 Mrd. Euro, also etwa 350% des Bruttoinlandsproduktes im Euroraum.

Ad (3): Zentralbanken als „Hort der Verluste“

Die Zentralbanken nehmen Geschäftsbanken verlustträchtige (Risiko-)Aktiva ab. Dies kann auf zwei Wegen erfolgen. Zum einen können die Zentralbanken den Geschäftsbanken Risikoaktiva im Tausch gegen Staatswertpapiere abnehmen. Es käme zu einem Aktivtausch in den Bilanzen: In der Bilanz der Zentralbanken nehmen die Bestände der Staatspapiere ab und die der Risikoaktiva zu; in der Bilanz der Geschäftsbanken nehmen die Bestände der Staatspapiere zu und die der Risikoaktiva ab.

Die Zentralbanken können den Geschäftsbanken die wertgeminderten Papiere zum „erwarteten Endwert“ abnehmen. Auf diese Weise würde das Eigenkapital der Geschäftsbanken, soweit es bereits durch vollzogene Abschreibungen gemindert wurde, quasi wieder „aufgefüllt“. Wer jedoch trägt die Verluste, sollte die Risikoaktiva ausfallen? Geschäftsbanken wären wohl nicht in der Lage, sie zu schultern, und so müssten sie vermutlich von der Zentralbank getragen werden. Die anfallenden Verluste würden die Gewinne der Zentralbanken schmälern und, soweit sie in den Staatshaushalt abgeführt werden, es entstehen Haushaltslöcher, die zu finanzieren wären (durch Steuererhöhungen und/oder steigende Staatsverschuldung).

Im Euroraum beträgt das Bilanzvolumen des Eurosystems nur 2031,4 Mrd. Euro, also rund 6,4% des (zu versichernden) Bilanzvolumens des Euro-Bankensektors. Die Gemeinschaft der Zentralbanken verfügt damit nur über ein vergleichsweise geringes (Wertpapier-)Vermögen, um Banken Verluste in nennenswertem Umfang im Zuge von (geldmengenneutralen) Tauschoperationen ersparen zu können.

Würden im Ernstfall die Verluste der Banken die für Tauschoperationen verfügbaren (Wertpapier-)Bestände übersteigen, wäre nur noch eine „Monetisierung“ der verlustträchtigen Aktiva möglich: Die Zentralbanken würden Geschäftsbanken Risikoaktiva im Tausch gegen neues Zentralbankgeld abnehmen – einschließlich der Zinszahlungen, denn die Geschäftsbanken müssten ja in der Lage sein, die Verzinsung auf ihre Einlagen und Kredite zu leisten.

Ad (4): Mehr Regulierungen

Die Forderung nach mehr Transparenz, Regulierung und Aufsicht im Finanzmarkt speist sich aus der Auffassung, (noch mehr) staatliches Beaufsichtigen und Dirigieren der Marktaktivitäten könnte Krisen entgegenwirken. Der Misserfolg dieser Philosophie scheint seine Befürworter nur noch in ihrer Überzeugung zu stärken, wie eine Reihe von „Lösungsvorschlägen“ zeigt, die mittlerweile international diskutiert werden.

Vielmehr scheint es notwendig zu sein, die Marktdisziplin zu stärken. Private Investoren dürfen sich nicht mehr in Sicherheit wiegen und ihr Risikobewusstsein verlieren, nur weil etwa Kreditinstitute unter staatlicher Aufsicht stehen. Auch die Auffassung, dass der Staat Finanzinstituten einen „speziellen Status“ einräumt – sie de facto nicht Pleite gehen lässt –, führt unweigerlich zu „moralischen Wagnissen“ („Moral Hazard“) und gibt Anreize für risikoreiche Geschäftspraktiken.

Aufschieben der Krise

Angenommen, es gelänge mit den obigen Staatsinterventionen, das Kredit- und Geldmengenangebot vor dem Schrumpfen zu bewahren und es (zumindest) auf dem aktuellen Niveau zu halten. Die entscheidende Frage, die sich dann stellen würde, wäre: Kann eine solche Situation überhaupt ein Marktgleichgewicht darstellen, von der ausgehend eine mehr oder weniger störungsfreie Entwicklung erwarten werden kann?

Diejenigen Ökonomen, die in der aktuellen Kreditkrise einen „unbegründeten Vertrauensverlust“ in das Kredit- und Geldangebotssystem erblicken, der durch staatliche Interventionen ausgeräumt werden kann (und muss), werden sagen, dass eine Stabilisierung des Status quo die notwendige Grundlage legt für das Fortführen des staatlich kontrollierten Papiergeldsystems – künftig allerdings unter verstärkter Kontrolle staatlicher Aufsichtsbehörden, um einer Wiederholung der Krise vorzubeugen.

Hingegen werden diejenigen Ökonomen, die in der aktuellen Kreditkrise den möglichen Kulminationspunkt eines Dekaden währenden Auftürmens von immer mehr Kredit und Geld im staatlichen Papiergeldregime erblicken, warnen und zum Schluss gelangen, dass die Krise durch Staatsinterventionen keinesfalls bereinigt, sondern lediglich in die Zukunft verschoben würde. Denn aus ihrer Sicht tragen alle staatlichen Interventionen nur dazu bei, die Korrektur der aufgelaufenen Ungleichgewichte zu verhindern.

Aus dieser Sicht gehen die bisherigen Maßnahmen nicht an die Ursache der Kreditkrise, oder besser: des Überschuldungsproblems: das immer weitere Auftürmen von Kredit relativ zum Einkommen. Die offenen Rechnungen, die im Zuge der aktuellen Politikreaktionen auflaufen, bergen die Gefahr, die Finanzkraft der Volkswirtschaften zu übersteigen und früher oder später Inflation als das vergleichsweise geringste Übel zu empfehlen.

Rückkehr zu gutem Geld

Doch es gibt einen Weg, zu gutem Geld zurückzukehren – und zwar ohne dass es zu Inflation und Deflation kommt und ohne dass (künftige) Steuerzahler enteignet werden. In einem ersten Schritt wären dazu die Verbindlichkeiten der Geschäftsbanken mit einem festen Umtauschverhältnis an das Gold anzubinden, das noch in den Kellern der Zentralbanken lagert, und gleichzeitig wäre Geldhaltern das Recht einzuräumen, ihre Bankguthaben jederzeit in Gold umtauschen zu können. So wäre sichergestellt, dass die Zahlungsfähigkeit der Banken gesichert ist, dass die Gefahr eines Bank-Run im Grunde ausgeschaltet wäre, und dass Kreditausfälle oder -rückzahlungen die Geldmenge nicht reduzieren würden.

In einem zweiten Schritt könnte das Geldsystem dann privatisiert, also in ein System des «Free Banking» entlassen werden. Geschäftsbanken könnten wie bisher auch Geldhaltern Einlagen anbieten und Kredite gewähren. Geldverwender würde den Wechsel vermutlich gar nicht spüren. Sie könnten wie bisher etwa über Bargeld verfügen (in Form von Depositenscheinen), Schecks ausschreiben, Kreditkarten verwenden und Internet-Banking betreiben. Banken könnten fortan jedoch die Geldmenge nicht mehr ausweiten, wenn sie Kredite gewähren. Denn vermutlich würde der Markstandard für gutes Geld, wie in früheren Epochen auch, eine durch Gold und/oder Silber gedeckte Währung sein.

Ein solches System würde Geld wieder zu dem machen, was es ursprünglich einmal war: ein Phänomen des freien Marktes. Freies Marktgeld verspräche nicht nur besseres Geld, sondern die Konjunkturen wären auch weniger schwankungsanfällig, weil freies Marktgeld Fehlinvestitionen und damit grösseren Wirtschaftskrisen entgegenwirkt. Damit würde auch der Spielraum für wachstumsschädliche Marktinterventionen, die regelmässig aus Wirtschafts- und Finanzkrisen erwachsen, zurückgedrängt. Damit wäre auch die Bedrohung der Freiheit, die latente Gefahr monetärer Planwirtschaft, entschärft. Freies Marktgeld ist die beste Versicherung gegen die Unbeherrschbarkeit und Willfährigkeit des staatlichen Papiergeldmonopols.

Thorsten Polleit, Chefökonom Deutschland von Barclays Capital ist Honorarprofessor an der Frankfurt School of Finance and Management. Der Originalartikel erschien hier: http://wirtschaftlichefreiheit.de/wordpress/?p=299

ein weiterer Artikel von Professor Polleit aus der Wirtschaftswoche: http://www.wiwo.de/politik/fluch-des-papiergelds-293116/#comment-0

 

 

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